Am 2.6.2016 hieß es erneut „Ceci meets Europe“. Nach bereichernden Gesprächen und einer intensiven und vielfältigen Auseinandersetzung während unseres Europatages war erneut die nach wie vor aktuelle Flüchtlingsfrage Thema des Abends. „Flüchtlings-‚Krise‘ – Wird Europa zur Festung?“ lautete die Leitfrage und Problemstellung. Unsere Europaabgeordnete Petra Kammerevert folgte gerne unserer Einladung und stellte sich den vielen Fragen, die die Schülerinnen und Schüler des Vorbereitungsteams vorbereitet hatten und die sich spontan aus den Reihen des Publikums ergaben.
Das Erstarken populistischer Bewegungen und Parteien sowie die Verbreitung populistischer Rhetorik in vielen europäischen Staaten waren ebenso Thema wie die Frage nach der europäischen Solidarität. Lassen wir Griechenland allein? Zerbricht Europa gar an der Flüchtlingsfrage und der fehlenden Solidarität der unterschiedlichsten Mitgliedstaaten? Zwar verwies Frau Kammerevert darauf, dass es in Europa und auch in Deutschland immer schon populistische und extremistische Bewegungen und Erfolge entsprechender Parteien gegeben habe, doch seien diese bei weitem nicht so erfolgreich gewesen, wie dies heute der Fall sei. Sie betonte die Gefahren und die Herausforderung, die ein solches Erstarken von Populismus oder gar Extremismus in Europa bedeuten, und hob die Wichtigkeit hervor, diesen die demokratischen Werte und Prinzipien entgegenzuhalten. Das entscheidende Problem der aktuellen Situation sei, dass die Themen, mit denen die Populisten punkten würden, eigentlich zu komplex für deren einfache Antworten seien. So plädierte sie dafür, diese einfachen Antworten zu entzaubern und diesen sachliche und vor allem auch gemeinsame Antworten der Europäer entgegenzustellen. Dass gerade jedoch diese gemeinsamen Antworten nicht immer leicht zu finden seien, gab sie dann aber auch zu. Zu viele nationale Egoismen und Sonderinteressen würden oftmals einer gemeinsamen europäischen Lösung im Weg stehen, wobei sie Unterschiede feststellte zwischen der Arbeit im Europäischen Parlament, in dem das Interesse an einer gemeinsamen Lösung meist hoch sei, und dem Europäischen Rat, in dem die verschiedenen nationalen Interessen oftmals schwer vermittelbar aufeinandertreffen. Problematisch sei hierbei, dass eine eher am proeuropäischen Kompromiss orientierte Institution wie das Europäische Parlament kein Initiativrecht für Gesetzesentwürfe besitzt – mit einer entsprechenden Reform sei die Lösung somit vielleicht eher ein Mehr als ein Weniger an europäischer Integration. So verwies Frau Kammerevert aber auch auf mögliche Bruchstellen dieser europäischen Integration. Wenngleich sie die Hoffnung habe, dass es keinen Zerfall der Europäischen Union gebe, sehe sie jedoch aktuell die Gefahr eines Auseinanderbrechens Europas und verwies z. B. auf Diskussionen um ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten.
Die Komplexität der an die europäische Gemeinschaft gestellten Probleme zeigte sich dann etwa auch im so genannten „Deal“ mit der Türkei, auf den die Schülerinnen und Schüler kritisch mit der Frage hinwiesen, ob die EU ihre Werte „verkaufe“. Wenngleich solche Gespräche nicht einfach seien und man keineswegs die eigenen Werte relativieren dürfe, so Kammerevert, sei es doch politisch notwendig auch mit Machthabern wie Erdogan, die in der aktuellen Flüchtlingsfrage von großer Bedeutung seien, zu sprechen. Man dürfe sich jedoch nicht erpressen lassen. Europäische Grundrechte seien nicht verhandelbar.
Wird Europa also zur Festung? Schieben wir das „Problem“ mit den Flüchtlingen einfach weiter, frei nach dem Motto „aus den Augen aus dem Sinn“? Auch wenn Frau Kammerevert die Wichtigkeit der Sicherung der Außengrenzen betonte, sprach sie sich doch gegen einen europäischen Festungsbau aus. Vielmehr sei es wichtig, legale Wege zu schaffen, dass Hilf- und Schutzbedürftige nicht nur über die von Schleuser vermittelten gefährlichen Wegen eine sichere Zuflucht in Europa finden könnten. Und auch hier formulierte sie auch wieder ihre Hoffnung auf eine gemeinsame europäische Lösung. Gemessen an der Einwohnerzahl und dem relativen Wohlstand Europas sei es letztlich keine unlösbare Aufgabe, die Flüchtenden gerecht und sicher auf die verschiedenen europäischen Staaten zu verteilen.
Ob diese europäischen Lösungen in der Flüchtlingsfrage, aber auch in anderen Problemfeldern europäischer Gemeinsamkeit und Politik in Zukunft gefunden werden, werden wir weiter verfolgen, z. B. wenn es wieder heißt: „Ceci meets Europe“.
Dr. Tobias Lüpges