„Europe for Future!?“ – unter dieser Fragestellung fand am 26.03.2019 bereits zum sechsten Mal der Themenabend „Ceci meets Europe“ statt. Eingeladen waren erstmals fünf Politiker*innen als Vertreter*innen von bei der Europawahl antretenden Parteien, die sich den Fragen der Moderator*innen und der Zuschauer*innen stellten. Zu den Gästen zählten Marion Nasskau (SPD), Clarisse Höhle (FDP), Fotis Matentzoglou (Die Linke), Stefan Engstfeld (Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Mathias Höschel (CDU). Sie bildeten das Podium für die Diskussion zum Wahl- und Schicksalsjahr 2019, in dem die Europäische Union vor großen Herausforderungen steht. Dazu zählen nicht nur der immer näher rückende, vermutlich „harte Brexit“, den zu verhindern Europa bisher versäumt hat, und die Verbreitung rechtspopulistischer Gedanken in den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch die Herausforderungen durch den Klimawandel und die Frage nach der eigenen Identität von Europa.
In einer Sache waren sich die Politiker*innen zunächst einig: Ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union lasse sich nur durch starke Zusammenarbeit verhindern, da Einzelstaaten nicht länger ihre Aufgaben und Herausforderungen alleine bewältigen können und nur durch eine Wertegemeinschaft wie die EU, die eine gemeinsame Linie verfolgt, Frieden, Demokratie und Solidarität erreicht werden können. Zu Recht habe sich die Europäische Union dabei den Friedensnobelpreis verdient (Stefan Engstfeld, Bündnis 90/Die Grünen). Hervorzuheben ist hier auch das Eingangsplädoyer von Frau Nasskau: „Wir haben in Europa die längste Friedenszeit aller Zeiten“. Als Kind des „Kalten Krieges“ habe sie immer Angst vor einem Atomkrieg gehabt und wisse somit die Europäische Union zu schätzen.
Jedoch wurden nicht nur die positiven Errungenschaften der europäischen Integration, sondern vor allem auch bestehende Probleme und Herausforderungen diskutiert: Wie lässt sich das Vertrauen der Europäer wiederherstellen? Welche positiven Zukunftsvisionen kann die EU entwickeln und umsetzen? Wie lassen sich soziale Herausforderungen meistern, sodass Europa ein „Europa der Millionen“ und keines der Millionäre wird, wie es Die Linke in ihrem Programm fordert?
Von diesen Fragen der Moderator*innen geleitet, stimmten die Politiker*innen einander häufig zu, ergänzten sich oder führten gegenseitig ihre Gedankengänge fort. Hier ging es oftmals nicht mehr um die Interessen einzelner Parteien und Fraktionen, sondern es diskutierten Europapolitiker*innen, die Verantwortung, Kompromisse, Kooperation und Demokratie über alles andere stellen und mehr Einsatz und Transparenz fordern – nicht nur von Deutschland, etwa in Auseinandersetzung mit den Zukunftsvisionen von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, sondern von allen EU-Bürger*innen. So sollten Probleme grundsätzlich nicht als Komplikation gesehen werden, vielmehr stellen sie auch eine Chance für Weiterentwicklung dar. Laut Clarisse Höhle (FDP) solle eine soziale Angleichung zwischen den EU-Staaten z.B. nicht durch einen Arbeitslosen-Fonds erreicht werden. Zukunftsfähiger wäre ein Konzept, das Schüler*innen und Studierende europaweit vernetzt und Bildung und Jobaussichten über Landesgrenzen hinweg anbietet, um der hohen Arbeitslosigkeit von Jugendlichen entgegenzuwirken. Junge Leute würden so auch mehr Vertrauen in die Europäische Union fassen und sähen sie nicht mehr als „Sündenbock“ für alle Probleme.
Zu anderen aktuellen Themen wie „Fridays for future“ und die „Urheberrechtsreform“ gab es verschiedene Äußerungen. Denn obwohl die Politiker*innen sich einig darüber waren, dass politisches Engagement seitens der Schüler*innen unterstützt werden sollte, sei laut Dr. Mathias Höschel (CDU) ein Schulstreik zwar effektiv, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit zu erzielen, jedoch würden Demonstrationen am Wochenende den Ernst und die Aussagekraft der Schüler*innen in Zukunft stärker unterstreichen. Diese Position blieb nicht unwidersprochen, schließlich seien es das Recht und die Aufgabe der Jugend, Druck aufzubauen und Schwerpunkte zu setzen, wenn die Politik versagt.
Die Urheberrechtsreform als rechtliche Grundlage zur Anpassung von geistigen Eigentumsrechten in der globalisierten Welt blieb ein weiterer Streitpunkt. Es stellte sich die Frage, ob der Versuch, das analoge Zeitalter in das digitale Zeitalter zu übertragen, überhaupt Sinn ergebe. Für die Digitalisierung brauche es neue Blickwinkel. Eine 1zu1-Übertragung funktioniere hier nur bedingt, so die FDP-Politikerin Clarissa Höhle.
Ein weiteres Diskussionsthema war der Umgang mit den großen Internetgiganten, wie zum Beispiel Amazon und facebook, zu denen Fotis Matentzolgou (Die Linke) einen klaren Standpunkt vertrat. Er sprach sich für einen fairen Wettbewerb aus und forderte, dass die steuerpflichtigen Großkonzerne keine Schlupflöcher nutzen, sondern hinsichtlich ihrer Steuerpflicht zur Verantwortung gezogen werden sollten. Andernfalls würden Milliarden von Euro verloren gehen, die an anderer Stelle gebraucht würden. Dies zeige sich zum Beispiel in dem Steuerdeal von Amazon und Irland, durch den Amazon einen Großteil seiner Gewinne nicht versteuern müsse. Diese Art des „Raubkapitalismus“ (Marion Nasskau, SPD) sollte mit länderübergreifenden Maßnahmen reguliert werden, um eine gerechtere Zukunft zu schaffen.
Nach den Statements der Politiker*innen zu gezielten Fragen der sehr gut vorbereiteten Moderator*innen wurde im weiteren Verlauf des Abends eine Fragerunde unter Einbeziehung des Plenums eingeleitet. Sie ermöglichte es den Zuschauer*innen ihre Fragen gezielt an die Europapolitiker/innen zu richten. Es wurde unter anderem die Frage nach einem harten Brexit oder einem Brexit-Deal angesprochen. Auf Antrag Großbritanniens wurde am 29. März die Frist für den Austritt um drei Wochen verlängert. Ein Austritt der Briten ohne Abkommen ist ein Horrorszenario, das leider einstimmig für wahrscheinlicher gehalten wurde als eine vertragliche Lösung. Das Bedauern über die Annahme eines „harten Brexit“ war sehr groß, aber falsche Hoffnungen beschleunigten nur den Verfall Europas, so Dr. Mathias Höschel. Daher dürfe auch im Falle des ungarischen Ministerpräsidenten, der von der EVP eine „gelbe Karte“ bekommen habe, ohne einen Richtungswechsel seinerseits genau wie im Fußball die „rote Karte“ nicht lange auf sich warten lassen.
Offensiv wurde der Lobbyismus in Brüssel angesprochen, der als Beeinflussung von Abgeordneten durch Interessengruppen zu Unzufriedenheit und Misstrauen gegenüber den Abgeordneten führe, da die Hintergründe einiger Entscheidungsfragen oftmals ungeklärt bleiben. Stefan Engstfeld erläuterte ausführlich, dass Lobbyismus, wird er verstanden als Austausch zwischen Bürgern, Verbänden, Interessenvertretungen, grundsätzlich kein Problem darstelle, sondern wichtig für die politische Willensbildung sei. Voraussetzung sei aber, dass zu jeder Zeit transparent sei, welcher Politiker wann mit wem rede.
Viele Zusammenhänge zwischen Kooperation, Solidarität und Wettbewerb für die Zukunft der EU sind – trotz aller Unterschiede der verschiedenen Positionen – im Verlaufe des Abends immer deutlicher geworden. Es braucht einen fairen Wettbewerb, um Innovationen anzukurbeln. Dennoch sollte von einem Miteinander und nicht von einem Gegeneinander die Rede sein, um den Frieden in Europa zu wahren. Der Politikverdrossenheit muss dringend Einhalt geboten werden, besonders in Bezug auf die anstehende richtungsweisende Europawahl. Die Europawahl sollte, wie Macron es schon ausformuliert hat, zu einem „Neuanfang“ führen, um positive Visionen zu entwickeln und die Erfolgsgeschichte Europas als historisch einzigartige Staatengemeinschaft fortzuführen.
Nach etwa zwei Stunden endete der offizielle Teil des Abends, doch es gab einige Interessierte, die sich weiterhin über die Zukunft Europas untereinander und mit den Gästen unterhielten und so einen informativen und interessanten Abend ausklingen lassen konnten.
Die Organisierenden aus dem Arbeitskreis Europa haben sich sehr über die etwa 100 Besucherinnen und Besucher gefreut, zu denen auch viele Eltern und Lehrer*innen gehörten. Insbesondere im „Schicksalsjahr“ 2019 hätten wir uns jedoch eine größere Teilnahme seitens der Schüler*innen gewünscht.
Wir bedanken uns an dieser Stelle nochmals bei unseren Gästen, ohne die der Abend nicht hätte stattfinden können. Es kann mit Bestimmtheit gesagt werden, dass jeder der Anwesenden etwas aus dieser informativen und anregenden Diskussionsrunde mitgenommen hat.
Lucy Müllenberg, Q1